Bericht eines Augenzeugen
Im Land der Zedern, in dem Arme, Kinder und Alte noch unter den Folgen des letzten Konflikts leiden, hat der Soziologe und unabhängige Berichterstatter Leandro Abeille die effiziente Arbeit des Malteserordens bei der Hilfe für die Notleidenden beobachtet. In zehn medizinischen Zentren hilft der Orden hier allen, die in Not sind und Hilfe bedürfen, ohne Unterschied der Herkunft oder Religion. Sein Artikel ist in der Aprilnummer von Polizei und Demokratie erschienen.
Von Leandro Abeille
Der Libanon ist eine der Regionen, in denen bewaffnete Auseinadersetzungen tägliche Wirklichkeit sind. Der Krieg nimmt auf niemand Rücksicht, er trifft alle, Reiche wie Arme, Kinder und Alte, aber vor allem letztere sind es, die am meisten zu leiden haben. Sie leiden, weil niemand sie tröstet, niemand Ihre Wunden heilt und es ist tragisch, dass sich bei den ständigen Bombardierungen kein Freund findet, der hilft.
Seit 1975 hat der Malteserorden, trotz der kriegerischen Auseinandersetzungen, im Kriegsgebiet 10 medizinisch-soziale Zentren eröffnet.
Während ich noch über diese banale Wahrheit grüble stoße ich auf die Geschichte der weltweit bekannten Hospitaliers. Im Libanon haben die Malteserritter seit 1975 allein während der kriegerischen Konflikte und in den Kriegsgebieten zehn medizinisch-soziale Zentren finanziert und eröffnet. Diese Zentren liegen verstreut vom Norden bis in den Süden des Landes. Sie bieten allen medizinische Hilfe, von der Erst-Hilfe über Allgemeinmedizin bis hin zur Spezialmedizin. Sie arbeiten rundum, insbesondere in Kriegszeiten, so lange es irgendwie geht. Beim letzten Angriff durch Israel ist das Malteserkrankenhaus von Yaroun, südlich des Flusses Litani, bombardiert und zerstört worden. Erst wenige Stunden zuvor war es geräumt worden.
Joint Venture mit der islamischen Stiftung Imam Sadr.
Um die Zentren betreiben zu können, arbeiten die Malteser eng mit lokalen Hilfseinrichtungen und deren Personal zusammen. Meistens handelt es sich dabei um katholische Einrichtungen. Nur im Gebiet von Tiro hat man ein Joint Venture mit der islamischen Stiftung Imam Sadr abgeschlossen. Der Kostenaufwand für diese libanesischen Zentren beläuft sich unter Friedensbedingungen auf ca. 2 Millionen Dollar jährlich, die zu 80% vom Orden finanziert werden und hinsichtlich des verbleibenden Restes durch Eigenfinanzierung. Man ist also unabhängig von öffentlichen Zuwendungen.
Indem man auf lokale Hilfskräfte baut, will man auch die lokale Wirtschaft unterstützen.
Anders als fast alle NGOs und viele internationale Organisationen, sind die Malteser bestrebt, einheimische Mitarbeiter anzuwerben und den ausländischen Mitarbeiterstab so gering wie möglich zu halten. Dieses System mag zwar enttäuschen, wer ein internationales Volontariatanstrebt, hat aber andererseits eine Kosteneffizienz, das es beispielhaft sein lässt. Die Vorteile sind vielfach. Die Kosten für Anreise, Versicherungen und allgemeine Sicherheit der ausländischen Mitarbeiter halbieren sich, kulturelle Anpassungsschwierigkeiten werden vermieden und indem einheimische Mitarbeiter gewonnen werden wird zugleich auch die lokale Wirtschaft gefördert und das ohnehin fragile örtliche Marktsystem nicht gestört. Nur wenn ein Kompetenzmangel besteht werden Spezialkräfte entsandt.
Ein gutes Beispiel dafür, wie wertvoll die Mitwirkung einheimischer Mitarbeiter ist, ist meine Führerin zu den Zentren der Malteser: eine junge 28-jährige Libanesin, die seit zwei Jahren für den Malteserorden arbeitet. Nach einem Wirtschaftsstudium und dem Master in Business Administration ist sie es, die die zehn Zentren mit dem achtspitzigen Kreuz leitet. Freundlich und professionell vertritt sie den Orden im Verhältnis zum ärztlichen Personal und zu den Hilfseinrichtungen. Sie arbeitet zehn, zwölf Stunden am Tag und das an sieben Tagen in der Woche. Neben der Landessprache spricht sie noch Englisch und Französisch.
Medizinische Hilfe im Niemandsland
Unsere Reise führt uns nach Ain el Remmaneh. Das Zentrum ist 1989 eröffnet worden. Über Jahre hin hat es Kranke in einem Niemandsland aufgenommen, in einer Pufferzone zwischen Christen und Moslems, zu einer Zeit, in der die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Gruppe bedeutete, sich gegenseitig umzubringen. Heute ist das Zentrum ein Lichtblick in der örtlichen medizinischen Landschaft. Es ist ein Zentrum für Diabetologie, verfügt über Spezialisten in Kardiologie, Angiologie, für innere Medizin, für HNO-Erkrankungen, Augenerkrankungen, Dermatologie, Gynäkologie, Pädiatrie, Endokrinologie, Onkologie und sogar für Diätetik, Psychiatrie, Psychologie und Physiotherapie. Sämtliche Ärzte und ärztlichen Hilfskräfte sind Libanesen. Die Leitung hat eine Schwester der Schwesternschaft der Barmherzigen Schwestern. Das Zentrum verfügt auch über entsprechend moderne Laboreinheiten.
Die Politik des Ordens ist es, den einzelnen nach seinen jeweiligen Möglichkeiten an den Aufwendungen zu beteiligen.
Vergleicht man die luxuriösen Hotels und großen Bankpaläste von Beirut mit dem Sitz des Ordens, so könnte man meinen, dass eine humanitäre medizinische Einrichtung eigentlich unnütz ist. Nichts wäre falscher als dieser Schluss. Die wenigen Reichen hier sind steinreich, aber die Armen, die sind wirklich arm und es gibt unendlich viele davon.
Im Unterschied zu anderen karitativen Organisationen sieht das wirtschaftliche Konzept des Ordens so aus, dass der Patient sich nach seinen jeweiligen wirtschaftlichen Möglichkeiten an den Kosten beteiligt. Dadurch wird ein Minimum an Eigenfinanzierung für bestimmte Aktivitäten erzielt und ein System von Bevorzugung vermieden.
Am medizinischen Zentrum des Ordens kostet eine gynäkologische Untersuchung 7 Euro, während sich die Durchschnittskosten im Libanon bei 50 Euro bewegen. Die meisten zahlen den vollen Preis, die weniger Bemittelten zahlen die Hälfte und wer nichts hat, zahlt nichts. Die Ärzte sind einheimisch und sie wissen genau wer wirklich arm ist und wer schwindelt.
Freund von einem Freund zu sein, zieht nicht. Darüber wacht das aufmerksame Auge der französischen Schwester, der nichts entgeht. Zum Nachweis der Ausgewogenheit dieses Systems (und der Wirksamkeit der Überwachung durch die Schwester) mögen die Zahlen sprechen: 2006 hat das Zentrum für 11.000 Patienten 29846 Leistungen erbracht. Davonwaren 1327 kostenlos und 3311 wurden zum halben Preis erbracht, woraus sich ergibt, dass 6000 Patienten den regulären vollen Preis bezahlt haben.
In Italien sind die Malteser bekannt für ihre Einrichtungen zur Rehabilitation der Motorik. Im Libanon finanzieren sie ein Zentrum zur Rehabilitation von Kindern. Das Zentrum befindet sich in der hügeligen Landschaft oberhalb von Beirut, in ruhiger Umgebung im Grünen. Die Architektur seiner Gebäude erinnert an die wunderschöne American University. Es wird geleitet von Schwester Maria Geneviève.
Im Zentrum Zouk Mikael haben 92 Kinder Aufnahme gefunden. Es handelt sich um autistische Kinder und Kinder mit psychomotorischen Problemen. 38 von ihnen sind stationär untergebracht und 54 halbtags. Das Betreuungspersonal besteht aus 65 Personen, überwiegend Hilfskräften, Lehrer, Krankenpfleger, ein Arzt, ein Psychologe, ein Sozialarbeiter, 4 Physiotherapeuten, 2 Logopäden, 2 Psychomotorikern und 2 Orthopäden. Alle sind Libanesen. Die Strukturen sind erstklassig, angefangen von den pädagogischen Computerprogrammen über Schwimmeinrichtungen bis hin zu den Geräten für Physiotherapien.
Die Kinder besuchen eine interne Schule mit eigenem Lehrpersonal und erhalten die erforderlichen therapeutischen Anwendungen zur Rehabilitation.
Für die Kinder, die die Einrichtung nur halbtags besuchen, endet der Tag um 14h. Die anderen erhalten eigene Badeanwendungen und werden von ihren Müttern umsorgt. Sicher ist diese Einrichtung nicht das Paradies auf Erden. Es ist ein Ort der Verzweiflung und des Leidens, aber äußerst gepflegt und die Mitarbeiter und Pfleger gehen liebevoll mit den kleinen Patienten um. Die Kinder fühlen sich sichtlich wohl und reagieren fröhlich auf meine Grimassen.
Vielleicht sollte das logistische und verwaltungstechnische System der Malteser auch auf andere Einrichtungen dieser Art angewendet werden.
Das Hospital und das Rehabilitationszentrum sind seltene Perlen in der Krisenregion der libanesischen Gesundheitslandschaft. In den medizinischen Zentren des Malteserordens fühlt man sich wie in einem guten europäischen Krankenhaus, mit denselben professionellen und hygienischen Standards. Die Patienten sind hier nicht irgendwelche Leute, die man irgendwie versorgen muss, Verzweifelte, die irgendwie überleben müssen, sondern sie sind hier die Herren Kranken, wie sie schon vor tausend Jahren in den Hospitälern der Johanniter bezeichnet wurden. Ein beachtlicher Unterschied.
Vielleicht sollte das logistische und verwaltungstechnische System, das der Malteserorden in seinen Einrichtungen praktiziert auch in andere NGOs Eingang finden. Vielleicht ist es ein anderer Geist, vielleicht ist es die Tradition, Tatsache aber ist, dass es funktioniert.